Russlanddeutscher Kulturpreis des Landes Baden-Württemberg 2022
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04/04/2022Der Krieg in der Ukraine und seine Auswirkungen auf (Spät-)-Aussiedler
Im Gespräch mit dem Aussiedlerbeauftragten Prof. Dr. Bernd Fabritius
Herr Fabritius, seit mehr als einem Monat erreichen uns täglich Bilder des Krieges aus der Ukraine. Wie geht es Ihnen dabei, wenn Sie diese Bilder sehen oder an den Russland-Ukraine-Krieg denken?
Das sind schreckliche Bilder. Ich hätte nicht gedacht, im 21. Jahrhundert einen brutalen Krieg, mitten in Europa, erleben zu müssen. Meine Gedanken sind bei allen Opfern dieses brutalen Überfalls, der nicht nur die Ukraine und alle dort lebenden Menschen sondern auch das eigene Volk des Aggressors ganz erheblich schädigt.
Sie beziehen auf Ihren Kanälen nicht nur ganz klar Stellung zu der Situation in der Ukraine, sondern auch zu bestimmten Entwicklungen in unserer Gesellschaft, zum Beispiel in Bezug auf die Anfeindungen und Diskriminierungen gegenüber Menschen russlanddeutscher und russischer Herkunft. Es lässt sich auch eine Spaltung in der russlanddeutschen/russischsprachigen Community beobachten. Worauf müssen wir als Gesellschaft achten, damit nicht noch mehr Hass und Hetze entstehen, die Menschen sich nicht noch mehr voneinander entfernen und der Krieg somit uns alle nicht noch mehr spaltet?
Es ist Teil der hybriden Kriegsführung und Ziel Putins, die Gesellschaft zu spalten. Deswegen müssen wir besonders vorsichtig sein und derartige gezielte Manipulations- und Täuschungsmanöver von im Einzelfall leider auch vorliegenden Diffamierungen und Ausgrenzung zu unterscheiden. Unsere Erfahrungen haben gezeigt, dass es sich bei den allermeisten Vorfällen gerade nicht um Anfeindungen aus der Zivilgesellschaft, von Nachbarn oder Arbeitskollegen, handelt, sondern dass dieses gezielte Störungsaktionen sind, wie wir sie bereits mit dem Fall Lisa erleben mussten. Wir müssen aufpassen, dass Putin seinen Krieg nicht auch nach Deutschland hinein trägt. Betroffenen rate ich daher, bei Diffamierung zuerst genau zu prüfen, ob sie hier wirklich als Person gemeint sind und eine reale Person als Angreifer dahinter steht. Dann würde ich aufklären und bei Rechtsverletzungen auch Strafanzeige erstatten. Unser Rechtsstaat toleriert so etwas nicht! Wenn es aber erkennbar eine gezielte, strategische Diffamierung zur Spaltung der Gesellschaft ist, würde ich dafür sorgen, dass diese gerade nicht verbreitet wird, sonst mache ich mich zum Gehilfen von solchen niederträchtigen Aktionen. Jetzt sind in besonderem Maße Klugheit, Besonnenheit und Zusammenhalt gefragt.
Sie sind auch viel unterwegs und treten mit Menschen, die von diesem Krieg betroffen sind, in direkten Austausch. Können Sie von Ihren Eindrücken aus Begegnungen und Gesprächen mit Betroffenen berichten? Was sind die aktuellen Anliegen? Was bewegt die Menschen momentan?
Ich bin in einem engen Austausch mit dem Vorsitzenden des Rates des Deutschen in der Ukraine, Vladimir Leysle, genau so wie mit den Vorsitzenden der Selbstorganisation der Deutschen in der russischen Föderation, Olga und Heinrich Martens und selbstverständlich auch mit dem Bundesvorsitzende ihrer Landsmannschaft, Johann Thießen. Tief betroffen machen mich Berichte von Landsleuten, die in zerbombten Städten in Schutzkellern leben und nicht wissen, wie sie den nächsten Tag bestreiten sollen. Ebenso betroffen machen mich Berichte von jungen Müttern mit ihren Kindern, die es zwar geschafft haben, sich nach Deutschland zu retten, den Familienvater und die reiseunfähigen Großeltern aber im Krieg zurücklassen mussten und nicht wissen, ob sie sich wieder sehen werden. Ein Bericht ist schrecklicher als der andere. Deswegen habe ich gerade auch als Präsident des Bundes der Vertriebenen gemeinsam mit ihrer Landsmannschaft und den Verbänden der deutschen Minderheit in den Grenzgebieten zur Ukraine bereits zu Beginn des Krieges eine Hilfsaktion gestartet. Wir konnten dadurch sowohl den im Kriegsgebiet ausharrenden Landsleuten als auch denen auf der Flucht bereits gezielt - durch Geld und Sachunterstützung - Hilfe bieten. Beeindruckend ist, dass viele der Geflüchteten sich nichts sehnlicher wünschen, als ein Ende der Kriegshandlungen und eine Rückkehr nachhause. Das ist beeindruckende Heimatliebe.
Seit dem Ausbruch des Krieges befinden sich Millionen Ukrainer auf der Flucht. Mehrere Hunderttausend sind mittlerweile in Deutschland angekommen. Auf Ihrer Homepage erschien bereits in den ersten Tagen des Krieges eine wichtige Information zum Härtefallverfahren für alle deutschen Spätaussiedlerbewerber aus der Ukraine. Können Sie dazu etwas mehr sagen?
Es war mir als Beauftragtem der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und Nationale Minderheiten ein sehr wichtiges Anliegen, dass die Situation des verbrecherischen Angriffskrieges und dessen Auswirkungen auf unsere Landsleute keinerlei negative Auswirkung auf deren Aufnahmeverfahren nach dem Bundesvertriebenengesetz haben darf. Es war völlig klar, dass niemand in einer solchen Kriegssituation die Entscheidung über einen Aufnahmeantrag nach dem Bundesvertriebenenrecht im Kriegsgebiet abwarten muss. Deswegen habe ich mich für die Durchführung eines Härtefallverfahrens eingesetzt, in welchem der Aufnahmeantrag als Spätaussiedler direkt in Deutschland in einem mündlichen Verfahren gestellt werden kann. Selbstverständlich müssen die Voraussetzungen einer Anerkennung als Spätaussiedler dabei genau so erfüllt sein, wie diese bei einem Antrag in der Ukraine gegolten hätten. Natürlich müssen zB. die deutsche Abstammung und insbesondere auch die nötigen deutschen Sprachkenntnisse für ein einfaches Gespräch bei Antragstellung in Friedland vorliegen. Für alle Fälle, in welchen die Sprachkenntnisse situationsbedingt noch nicht ausreichend wieder vorhanden sind, konnte festgelegt werden, dass die Aufnahme in den vorübergehenden Schutzstatus für Kriegsflüchtlinge bis zu sechs Monate einer Anerkennung als Spätaussiedler nicht hinderlich ist. Dieses schafft die Möglichkeit, vor einer endgültigen Bleibeentscheidung und Antragstellung in Friedland die fehlenden, aber nötigen Sprachkenntnisse aufzubessern und erst danach - aber spätestens innerhalb von sechs Monaten- in Friedland vorzusprechen.
Ich darf an alle Landsleute dringend appellieren, Betroffene über diese Regelungen genau zu informieren. Die Erfahrungen der ersten Wochen haben gezeigt, dass viele Menschen den Sinn der Regelung nicht verstanden haben und unbegründet in Friedland vorsprechen. Damit riskieren diese Menschen aber, dort wieder weggeschickt zu werden oder im schlimmsten Fall eine Ablehnung der Anerkennung zu erhalten. Die Härtefallregel richtet sich also gezielt an Landsleute mit belegbar deutscher Abstammung, Bekenntnis zur deutschen Nationalität sowie ausreichend deutschen Sprachkenntnissen, die nach den Vorschriften des Bundesvertriebenenrechtes Anspruch auf eine Spätaussiedleranerkennung haben bzw. An deren mitreisende Familienmitglieder, die ebenfalls in den Aufnahmebescheid einbezogen werden können. Sie dient nicht der Lösung andere Fälle, etwa wenn bereits eine Ablehnung erfolgt ist, der Aufenthalt in Deutschland bereits vor den Kriegshandlungen aus anderen Gründen aufgenommen wurde oder Sprachkenntnisse nicht ausreichend vorliegen. Für alle diese Fälle kann die Gewährung des vorübergehenden Schutzstatus, wie für alle andern Kriegsflüchtlinge, in den allgemeinen Aufnahmestellen für Kriegsflüchtlinge in ganz Deutschland geprüft werden.
Wir hören inzwischen auch von Verfolgungen und Benachteiligungen von Deutschen in der Russischen Föderation, etwa wenn diese sich geforderten Solidaritätsbekundungen für die sogenannte „Militäroperation“ in der Ukraine verweigern oder diese als Krieg bezeichnen. Gilt das Härtefallverfahren auch für diese Menschen?
Die Anwendung der geschilderten Härtefallregel ist nicht auf ein bestimmtes Land beschränkt. Es muss aber ein Härtefall vorliegen. Für das Kriegsgebiet Ukraine wird allgemein unterstellt, das wegen der Kriegshandlungen immer ein Härtefall vorliegt. In der Russischen Föderation wird aber weder bombardiert noch ist dort derzeit Krieg. Bei einer Härtesituation aus Russland müsste ein Antragsteller daher seinen Härtefall konkret beschreiben und belegen. Dann könnte selbstverständlich der Antrag ebenfalls direkt in Friedland gestellt werden.
Die Kriegssituation führt sowohl in der Ukraine als auch in der Russischen Föderation zu erheblichen Beeinträchtigungen im Zahlungsverkehr. Sind Spätaussiedler in Deutschland davon betroffen, etwa durch ausbleibende Rentenzahlungen?
Nein, Spätaussiedler sind im Rentensystem davon so gut wie nicht betroffen. Die Ukraine hat schon vor dem Krieg keinerlei Renten nach Deutschland gezahlt. Für mögliche Rentenzahlungen aus der Russischen Föderation gilt bei Spätaussiedlern die Regelung des § 31 Fremdrentengesetz (FRG). Darüber habe ich schon oft informiert. Diese Regel bedeutet, dass jede Zahlung aus dem Herkunftsgebiet für dort zurückgelegte Zeiten, die über das FRG auch in der deutschen Rente enthalten sind, zu einer unmittelbaren Kürzung der deutschen Rente führt. Wenn also jemand früher aus Russland eine Rente bekommen hat, wurde die deutsche Rente gekürzt. Wenn jetzt wegen des Krieges (oder auch nach einem Verzicht auf die Leistung aus Russland) von dort keine Zahlung mehr kommt, lebt die deutsche Rente wieder in voller Höhe auf. Betroffene müssten hier lediglich der deutschen Rentenbehörde mitteilen, dass sie ab einem bestimmten Zeitpunkt keine Rente aus Russland mehr erhalten, damit die deutsche Rente wieder voll gezahlt wird.
Etwas anders verhält es sich bei den Personen, die nicht als Spätaussiedler anerkannt wurden, sondern lediglich gemäß § 7 oder 8 BVFG ein Aufenthaltsrecht in Deutschland haben. Diese Menschen erhalten keine FRG-Rente für Zeiten im Herkunftsgebiet, sondern ggf. Grundsicherung. Eine Zahlung aus Russland wird auf die Grundsicherung angerechnet, solange diese kommt. Sobald sie aber wegfällt, kann unproblematisch ein Ausgleich durch Erhöhung der Grundsicherung beantragt werden.
Wir alle hoffen, dass dieser Krieg in der Ukraine so schnell wie möglich wieder aufhört. Was sind aus ihrer Sicht die Herausforderungen danach:
Es ist mir und der Bundesregierung bisher immer sehr wichtig gewesen, unsere Landsleute in ihren Heimatgebieten zu unterstützen, die Beibehaltung ihrer kulturellen Identität dort zu ermöglichen und so den Fortbestand als deutsche Minderheit zu sichern. Es wird daher sowohl in der Ukraine als auch in der Russischen Föderation unbedingt wichtig sein, zum Teil zerstörte Strukturen so schnell als möglich wieder aufzubauen, um die Förderung unsere Landsleute angemessen fortsetzen zu können. Es war mir daher auch in der Vergangenheit sehr wichtig, Dialogkanäle und das partnerschaftliche Zusammenwirken, insbesondere in den bilateralen Regierungskommissionen, so stabil wie möglich zu gestalten. Dafür habe ich meine gesamte, über Jahre hinweg im Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages oder den entsprechenden Ausschüssen des Europarates erworbene Erfahrung in allen Themenbereichen, einschließlich der Außenpolitik und des diplomatischen Verhandelns, eingesetzt. Auch in den Kriegszeiten ist und war es mir immer wichtig, diese stabile Basis für die Zukunft zu erhalten.
Kurze Frage zum Schluss: Es gab in Deutschland nach der letzten Bundestagswahl einen Regierungswechsel. Ihre Partei, die Union, ist in der Opposition. Würden Sie trotzdem unser Beauftragter bleiben?
Ich habe der aktuellen Regierungskoalition aus einer inneren Überzeugung heraus meine weitere Tätigkeit angeboten, weil ich meine vorher geschilderten Erfahrungen, die tiefe Vernetzung in den Personenkreisen - gerade in aktuellen Krisenzeiten und den damit verbundenen Herausforderungen - gerne weiter einbringen würde. Es gibt auch keinerlei Regel, dass Beauftragte bei einem Regierungswechsel ausgetauscht werden müssen: so hat etwa die Koalitionspartei FDP meinen Kollegen Stefan Kaufmann (MdB a.D, CDU) weiter als Beauftragten der Bundesregierung für diese Wahlperiode vorgeschlagen, er ist weiter im Amt. Auch bei dem Regierungswechsel in Nordrhein-Westfalen vor einigen Jahren, als die SPD in die Opposition ging, hatte die neue CDU-geführte Landesregierung den hoch geschätzten Poloniabeauftragten (Thorsten Klute, Staatssekretär a.D., SPD) aufgrund seiner hervorragenden Tätigkeit nach einer kurzen Unterbrechung weiter zum Beauftragten bestellt. Eine feste Regel gibt es also nicht. Aber selbstverständlich bleibt dieses eine Entscheidung der jeweiligen Regierungspartei.
Herr Dr. Fabritius, wir danken für das Gespräch.
Das Interview wurde nach einem gemeinsamen Besuch des Beauftragten der Bundesregierung mit dem Bundesvorsitzenden der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Johann Thießen, in der Aussiedleraufnahmeeinrichtung in Friedland geführt. Weitere Informationen unter: https://www.aussiedlerbeauftragter.de/SharedDocs/kurzmeldungen/Webs/AUSB/DE/2022/20220318-friedland.html