„Wir lassen uns nicht instrumentalisieren!“ – Stellungnahme
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08/03/2022Altersarmut bei Spätaussiedlern – aus der politischen Tagesordnung ausgeklammert!
Stellungnahme
Wie die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland erfahren hat, steht das Thema „Altersarmut bei Spätaussiedlern“ nicht auf der Tagesordnung der Regierungskommission. Das ist nicht zu verantworten und auch deshalb nur schwer zu begreifen, weil sich bereits zahlreiche Politiker unserer Auffassung angeschlossen haben, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht. Konkrete Schritte fehlen bisher jedoch.
Für uns ergibt sich daher die Frage: Soll etwa gerade auch für Deutsche aus Russland der Slogan gelten: „Ruhestand war gestern – malochen bis zum Tode heißt heute das Schicksal.“
Ganz allgemein ist es in einem reichen Land wie der Bundesrepublik ein Skandal, dass die Altersgruppe der 65-Jährigen und darüber mittlerweile den größten Anteil der geringfügig Beschäftigten stellt. 2016 mussten rund 8,6 Millionen Rentner mit weniger als 800 Euro im Monat auskommen und galten damit gemäß EU-Definition als in erheblichem Maße armutsgefährdet.
Bei den Deutschen aus Russland liegt der Anteil der im Alter Armutsgefährdeten noch weit über dem Bundesdurchschnitt. Betroffen sind alle Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion, unabhängig davon, ob sie mit dem Status Heimkehrer, Spätheimkehrer, Aussiedler oder Spätaussiedler geführt werden.
Ursache, dass Deutsche aus Russland in weit überdurchschnittlichem Maße von Altersarmut betroffen sind, sind die restriktiven Änderungen des Fremdrentengesetzes in den 1990er Jahren und hier vor allem die Bestimmungen des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes. Die drei Hauptbestandteile der restriktiven Änderungen seien hier genannt:
- Kürzung der Beschäftigungszeiten auf fünf Sechstel;
- Deckelung der im Ausland erworbenen anrechenbaren Entgeltpunkte, die eine Berechnungsgrundlage für die Rentenhöhe bilden;
- niedriger Bewertungsfaktor von 0,6.
Mit dem Argument, dass die Deutschen aus Russland nicht bessergestellt werden dürften als die Ostdeutschen, wurde für sie der niedrige Bewertungsfaktor für Entgeltpunkte von 0,6 eingeführt. Wir begrüßen das Vorhaben, die Ost-Rente an das Westniveau anzugleichen. Gleichzeitig kritisieren wir aber, dass die Deutschen aus Russland in dieser Betrachtung nicht vorkommen. Der Bewertungsfaktor von 0,6 ist unverändert geblieben. Damit verschärft sich das Risiko der Altersarmut unter unseren Landsleuten zunehmend.
Besonders dramatisch ist die Situation für Frauen und Männer, die nach 1993 mit dem Status Spätaussiedler in Deutschland eingereist sind. Ein hoher Anteil dieser Personen wurde nach § 7 BVFG (deren Ehegatten sogar nach § 8 BVFG) eingestuft, wodurch sie keinen Anspruch auf Anerkennung ihrer Beschäftigungszeiten in den Herkunftsländern haben.
Auch in den nächsten Jahren werden die Deutschen aus Russland deutlich häufiger von Altersarmut bedroht sein. Unsere Volksgruppe ist überdurchschnittlich häufig von unterbrochenen Erwerbsbiographien, hohen Teilzeitarbeitsquoten und niedrigen Löhnen betroffen, was die Wahrscheinlichkeit für niedrige Renten und Altersarmut erhöht. Der Integrationswille der Deutschen aus Russland und die ausgeprägte Bereitschaft, eine beliebige niederqualifizierte Arbeit zu übernehmen, nur um nicht von den Sozialkassen abhängig zu sein, bringen somit negative Folgen mit sich.
Bei all dem sollte eines nicht vergessen werden: Die Deutschen aus Russland bilden eine junge Volksgruppe mit hohem Beschäftigungsniveau und zahlen erheblich mehr in die Rentenkassen ein, als ihre Rentner in Anspruch nehmen können. Und der „Generationenvertrag“ sollte auch für sie gelten.
Wir fordern mit Nachdruck wirksame Schritte zur Beseitigung der bestehenden und drohenden Altersarmut bei Deutschen aus Russland. Nach all dem, was sie und ihre Familien in den Jahren der Unfreiheit, Diskriminierung und Verfolgung in der Sowjetunion durchzumachen hatten, haben sie die Solidarität der Gesellschaft verdient!
Die Landsmannschaft der Deutschen aus Russland fasst ihre Forderungen angesichts von Fehlentwicklungen im Fremdrentenbereich wie folgt zusammen:
- Festhalten am Generationenvertrag – Weg vom Argument der Sozialverträglichkeit und Stützung des Eingliederungsgedankens nach dem Kriegsfolgenbereinigungsgesetz (KfbG), d.h. Festigung der Integration in das Gemeinwesen.
- Weg mit der Kürzung der Rente um 40%, da die Betroffenen selbst bei einer Lebensarbeitszeit von 45 Jahren größtenteils unter das Existenzminimum fallen und Grundsicherung beantragen müssen, damit sie ihr Überleben garantieren können.
- Bei der Kürzung der Rente um 1/6 wird von den Beteiligten umfangreiches Material zum Nachweis von früheren Tätigkeiten verlangt, die sie nicht leisten können und die eine komplette Überforderung in ihrer persönlichen Situation darstellen. Deshalb Aufhebung der 1/6 Kürzung. Damit wäre auch die Beweislast für die Betroffenen vom Tisch.
- Keine Beantragung der Rente aus Russland verlangen, da es hierfür an einem Sozialabkommen bzw. an eindeutigen Gesetzesgrundlagen fehlt. Mit den Herkunftsländern wären daher entsprechende Sozialabkommen wünschenswert.
- Keine Zwangsverrentung durch die Sozialbehörde. Diese zieht nämlich eine weitere Kürzung nach sich, da pro Monat der frühzeitigen Inanspruchnahme der Rente 0,03% weniger Rente bezahlt wird. Dies kann, je nachdem wie lange man früher in Rente geht, eine Kürzung von bis zu 18% nach sich ziehen, und dies auf Dauer. Hier ist auch die einheimische Bevölkerung betroffen und nicht nur Spätaussiedler.
- Anpassung des Rentensystems an die veränderten Rahmenbedingungen der Arbeitswelt. Bedeutet: weniger Minijobs, weniger befristete Arbeitsverträge und damit weniger Phasen der Erwerbslosigkeit und niedriger Löhne.
Wir bedanken uns bei denjenigen Politikern, die die kritische Situation erkannt haben und uns in dieser Angelegenheit unterstützen.
Alle anderen, die sich bisher auf Lippenbekenntnisse beschränkt haben, fordern wir auf, ihren Worten endlich Taten folgen zu lassen. Es ist politisch unverantwortlich die Problematik der Altersarmut, bei einem erheblichen Teil der deutschen Bevölkerung, zu ignorieren!
Bundesvorstand